Heimat?
Heimat?

Heimat?

Ich denke, also bin ich Zuhause

Die meisten Menschen empfinden ein Gefühl von Heimat, das sich ganz unterschiedlich anfühlt und doch irgendwie schwer in Worte zu fassen ist. Einer genauen Definition entzieht sich der Begriff Heimat durch seine Vielfältigkeit und den individuellen Bezug.

Ist Heimat ein Gefühl oder ein Ort?
Vielleicht sogar beides? Oder doch nichts davon?

Heimat…meine Heimat. Wenn ich persönlich überlege was meine Heimat ist, kommt dieses warme Gefühl in mir hoch. Was ist dieses warme wohlige Gefühl? Gibt es mir Halt oder Identität? Ganz klar, dieses Gefühl und alles was ich damit verbinde, will ich reflexartig schützen und bewahren. Doch oft scheint Heimat in die völlig zufällig ausgewählten Grenzen eines bestimmten Landes gesetzt zu werden. Aber wenn ein festes Gebiet, ein Land, Deutschland, alleine dadurch, dass ich hier geboren wurde, meine Heimat ist, wird aus dem warmen schönen Gefühl plötzlich ein ganz seltsames. Dann ist es konkret gesagt Deutschland, was ich schützen will. Und das ist meiner Meinung nach ziemlich egoistisch. Ausgrenzend. Warum nur Deutschland und nicht mehr? Aber mein Geburtsort ist doch meine Heimat? So sagen doch immer alle, oder?

Das Wort Heimat betrifft jeden einzelnen Menschen ganz persönlich und wird seit einigen Jahren von der globalen Politik stark instrumentalisiert.
Die Verwendung im politischen Diskurs entstammt der rechtspopulistischen Nutzung und somit liegt ihr auch rechtes Gedankengut zugrunde. Aus politischer Sicht ist es ein patriotischer Kampfbegriff, dessen Bedeutung einfach für den heutigen gesellschaftlichen Diskurs übernommen wurde. Heimat sollte etwas postives sein und bleiben, stattdessen ist das Wort plötzlich durchsetzt von rechten Denkweisen, die sich ungefragt und unterbewusst in unsere Köpfe einbrennen. Deswegen ist es so wichtig zu verstehen, welche Grundannahmen hinter der politischen Nutzung von Heimat liegen, diese kritisch zu hinterfragen und vielleicht auch anzufangen, diese neu zu denken.

Heimat, heimattreu, Heimatschutz. All diese Worte gehören inzwischen zum alltäglichen politischen Sprachgebrauch. Besonders aus den Debatten um die erhöhte Einwanderung von geflüchteten Menschen seit 2015  verfestigt sich ein Zusammenhang ganz besonders:
Dein durch Abstammung vorbestimmter Geburtsort sei deine Heimat, welche du angeblich nicht verlassen willst.
So sagte auch 2015 die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel auf dem CDU-Parteitag: “Denn niemand, egal warum er sich auf den Weg macht, verlässt leichtfertig seine Heimat.”

Grundsätzlich festigte sich also der politische Konsens, dass Heimat, als unser Geburtsort, etwas ist, das uns Halt bieten soll in der sich schnell verändernden globalisierten Welt. Während deine Heimat scheinbar der Ort ist, an dem du bleiben willst, ist sie nach diesem ideologischen Verständnis auch unveränderbar. Heimat ist immer der gleiche Ort: ein Ort, der dir seit deiner Geburt angeblich Identität gibt und den du bewahren willst – retten willst vor ‘Eindringlingen’. Aus diesen ganzen Annahmen entsteht der Gedanke, alle seien stolz auf ihre Heimat, also ihren Geburtsort und ihre Abstammung.
Zwar mag dieser Stolz bei den Menschen mehr oder weniger zu finden sein, trotzdem ist das Wort klar geprägt von rechten Ideologien wie dem Stolz auf das ‘Vaterland’ oder dem Festlegen bestimmter Lebensräume für exklusive Bevölkerungsgruppen.

Aber warum sollte dieser Ursprung die Nutzung des Begriffs beeinflussen? Abgesehen von der Gefahr durch die unbedachte Verwendung Rechtspopulist*innen die Chance zugeben, rechtes Gedankengut in den Köpfen der Gesellschaft zu verankern, beeinflusst die Nutzung von Heimat in diesem Kontext auch das kollektive Verständnis davon.
Je öfter Heimat mit diesen Bedeutungen verwendet wird und je öfter wir das wahrnehmen, verfestigt sich die Argumentationskette: Heimat ist gleich Geburtsort ist gleich Stolz ist gleich wir und nicht ihr.
Das passiert oft ganz unterbewusst, doch Kognitionswissenschaftler*innen haben bewiesen, dass durch das gemeinsame Auftreten von verschiedenen Begriffen neuronale Verbindungen zwischen Wörtern in unserem Gehirn geknüpft werden und diese durch eine häufige Verwendung gefestigt werden. Das führt dazu, dass beispielsweise bei der Nutzung des Begriffs “Heimat” nicht nur das entsprechende Gehirnareal aktiviert wird, um die Bedeutung zu erfassen, sondern eben auch alles was eng mit ihm verknüpft wurde, wie in diesem Fall beispielsweise Geburtsort, Schutz und ein Gemeinschaftsgefühl.
Dieser Effekt wird Framing genannt; also der unterbewusste Vorgang Begriffe in einen Deutungsrahmen zu setzen. Einen Deutungsrahmen, der aus vielen verschieden Wörtern, Gefühlen und Sinneswahrnehmungen besteht, die wir mit einem Wort verbinden. Und wenn sich das einmal verankert hat, ist es nicht leicht einen Begriff wie Heimat neu zu deuten.

Abgesehen von diesem neuro-wissenschaftlich untersuchten Prozess gibt es möglicherweise einen weiteren Effekt, den diese starke Verbindung von Heimat und Geburtsort mit sich führt: Die Verpflichtung den Geburtsort als Heimat zu empfinden.
Was würde passieren, wenn dieses Konstrukt von Heimat nicht so tief in unseren Gedanken verankert wäre? Würden mehr Menschen andere Orte als den Geburtsort ihre Heimat nennen? Wäre Heimat bunter, offener, vielfältiger und zukunftsorientierter?

Menschen, die ihren Geburtsort verlassen, werden schnell unterbewusst als “heimatlos” bezeichnet und wir nehmen einfach an, der verlassene Ort sei ihre Heimat gewesen. Sich diese Macht über andere Menschen herauszunehmen und zu entscheiden, wo wessen Heimat liegt, ist ziemlich bevormundend. Während so oft über migrierende Menschen geurteilt wird, werden Menschen nicht weit von hier ihrer Heimat, ihrem Lebensort, beraubt durch das Versagen deutscher Politiker*innen. Die Flutkatastrophe im Sommer 2021? Viele Menschen, werden nicht mehr in ihre “Heimat” zurückkehren können. Die Enteignung von ganzen Dörfern in Rheinland für den Kohleabbau? Die Menschen, die dafür ihre Häuser zurück lassen mussten, werden ganz bestimmt niemals dahin zurückkehren können. Und dann gibt es natürlich noch Menschen, die ihren Geburtsort aufgrund von rechtspopulistischen Druck verlassen müssen. Menschen, denen ihre Heimat einfach abgesprochen wird. Aber Heimat ist das nicht der Ort, wohin man immer zurückkehren kann, will und darf?

In diesen Situationen spricht niemand davon, dass Menschen das Recht haben in ihrer Heimat zu bleiben, oder sogar, dort bleiben sollen und nicht das Recht haben in eine ihnen fremde Heimat einzudringen.

Irgendwie klingt das Paradox. Warum die einen so behandeln und sie zurück in ihre Heimat schicken wollen und die anderen aktiv und verhinderbar ihrer Heimat berauben?
Heimat ist und bleibt etwas Schützenswertes. Es motiviert Menschen und kann sie zusammenbringen. Aber muss es denn, so wie allerlei Politiker*innen den Begriff deuten, immer gleich der Geburtsort sein? Denn dieser ist immer etwas zurück gewandtes, vergangenes.
Etwas, dass eine klare Unterteilung in wir und ihr zulässt.

Aber was wäre, wenn Heimat aus der Zukunft bestehen würde? Wenn es etwas veränderbares und inklusives wird?

Die große schützenswerte Heimat, jedes einzelnen Menschen ist doch letztendlich unsere Erde, oder nicht? Und da sollten wir doch alle solidarisch miteinander sein zum Schutz unserer gemeinsamen Heimat. Wenn wir Heimat so umgedeutet kriegen, dann braucht es vielleicht gar nicht mehr dieses exklusive nicht-beschreibbare Gefühl der Verwurzelung, des Haltes und der Identität durch Geburtsorte. Stattdessen könnten wir über unsere eigenen Lebensrealitäten hinaus blicken und auch mit Menschen außerhalb dieses kleinen Kreises solidarisch sein.
So könnte Heimat zurückkehren zu dem, was es einmal war: Statt zerrissen zu werden zwischen diskriminierenden rechtspopulistischen Bedeutungen und individuellen Gefühlen, könnte es ein Wort der Inklusivität, Visionen, Solidarität und Vielfalt sein.

Ich kann nicht sagen, was dieses Heimatgefühl in anderen weckt. Aber nach dieser genaueren Betrachtung ist mir persönlich klarer geworden, was Heimat für mich ab jetzt bedeuten soll. Und insbesondere habe ich verstanden, was Heimat für mich nicht heißen darf.

Quellen:
Es sind keine Quellen von Rechtspopulist*innen angegeben, um die Verbreitung dieses Gedankenguts zu verhindern.

  1. Monecke, Nina: Warum der Begriff Heimat nicht zu retten ist. 10.3.2019. https://www.zeit.de/zett/politik/2019-03/warum-der-begriff-heimat-nicht-zu-retten-ist?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.com%2F. Stand: 09.12.2021.
  2. Gensing, Patrick: Das Fremde als Bedrohung. 7.11.2015. https://taz.de/Die-Deutschen-und-der-Heimat-Begriff/!5246134/. Stand: 09.12.2021.
  3. Berndt, Christina: Gemischte Gefühle: Heimatgefühl. 30.12.2010. https://www.sueddeutsche.de/wissen/gemischte-gefuehle-heimatgefuehl-im-wohlfuehl-ort-1.1041384. Stand: 09.12.2021
  4. Wehling, Elisabeth: Politisches Framing. Wie eine Nation sich ihr denken einredet – und daraus Politik macht. 2018.

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